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Orte

Arktische Kombination

„Ski and Sail“ nördlich des Polarkreises

Treffen sich vier Österreicher*innen, drei Deutsche und ein Schweizer am Meer. Seesack auf dem Rücken – Skisack in der Hand.

„Wieviel Aufstieg pro Tag ist eigentlich geplant?“ fragt die Jüngste aus dem Alpenquartett. „Reagiert Ihr stark auf Krängung?“ interessiert den Ältesten aus dem Flachländer-Trio. „Samma aufd Nocht am Lond?“ ertönt es auf steirisch. Rheinisch fröhlich verkündet jemand: „Isch hab‘ die Breiten mitjebracht“.

Alle reden durcheinander.

„Ja, hend die öpe Pilzli gesse oder öpis graucht?“ fragt sich der Schweizer, Staatsanwalt in Bern.

Nein, Patrick. Alles in Ordnung. Es treffen nur gerade die Teilnehmer an einem besonderen Törn zusammen. Eine Woche „Ski and Sail Lyngenalpen“, lautet das gemeinsame Motto. Ein bisschen Anspannung ist da schon zu spüren.

Im Stadthafen von Tromsø in Nordnorwegen schneit es. In der Ferne erstrahlt am gegenüberliegenden Ufer die schön beleuchtete Eismeerkathedrale, das Wahrzeichen der nördlichsten Universitätsstadt der Welt. Einschiffen ist angesagt. Das Gepäck wird über die schwach beleuchteten Schwimmstege zu dem im Päckchen mit einem Fischerboot liegenden Zweimaster DUEN III geschafft.

Bootsmann Tai hilft, Taschen und Skisäcke sicher über die Reling an Bord zu hieven.

„Auf was habe ich mich da nur eingelassen?“, frage ich mich beim Betreten des schneebedeckten, rutschigen Decks.

Die gleiche Frage kommt mir später wieder, als in der wohligen Wärme des Salons mein Blick über die Antlitze meiner Mitreisenden schweift. Altersschnitt: unter 30 Jahre. Alle sind jünger als meine Kinder. Meine Gedanken wandern zum Programm der nächsten Woche.

„Segeln in arktischen Gewässern. Tägliche Skitouren mit Anstiegen von 900 bis 1.300 Höhenmetern. Tiefschneeabfahrten vom Gipfel bis hinunter ans Meer.“

Tromsø bei Nacht
Stadthafen von Tromsø vor dem Auslaufen

Gut, dass der Captain jetzt mit dem Briefing beginnt. „Safety on board“ heißt das Thema. Er spricht von Feuer und Wasser, von Kälte und Eis und über die Gefahren an Deck und darunter. Er thematisiert Wichtiges und Überlebenswichtiges. Er gibt Hinweise zum richtigen Verhalten auf dem Schiff und auf dem Dinghi. Dave informiert über das Notwendige.

Eines aber macht er nicht. Angst. Im Gegenteil! Der Brite aus dem Nordwesten Englands, nutzt die Gelegenheit, den Neuankömmlingen durch seine humorvolle Einführung erforderliche Kenntnisse zu vermitteln. Und er macht Lust auf die Abenteuer der vor ihnen liegenden gemeinsamen Zeit.

Am Ende gesteht er mit einem Augenzwickern, dass er seinen Vortrag am liebsten in seiner Muttersprache Englisch halte, da er keine andere wirklich beherrsche. Dies sei im Übrigen auch die Bordsprache auf diesem Törn. Er gehe vom Einverständnis aller aus, da es keine Alternative hierzu gebe. Charme und Humor ersetzen Demokratie.

Das Eis ist jedenfalls gebrochen, während es draußen weiter schneit.

Beim Labskaus zum Dinner erklärt Manuel, Bergführer aus Pfronten im Allgäu, im wohlig warmen Salon seine Planungen für die kommenden Tage. Dave und Tai, Australier und Factotum an Bord der Duen III, wollen am nächsten Morgen bereits um 07.00 h in der Früh ablegen und die nördlich gelegene Insel Reinoya ansteuern. Mithilfe der Crew beim Ablegemanöver ist nicht erforderlich, das Tragen von Rettungswesten an Deck angesichts des erwarteten schlechten Wetters und noch schlechterer Überlebenschancen im unter 5° kalten Nordmeer dringend empfohlen.

„Auf was habe ich mich da eingelassen?“, frage ich mich ein weiteres Mal beim Beziehen meiner Koje im Vorschiff. Improvisation ist gefragt beim Verstauen der Segel- und Skiausrüstung auf engstem Raum. „Ski and Sail“. Das klang daheim wie „Das Beste aus zwei Welten!“. In der Enge der schmalen Kajüte fühlt es sich jetzt an wie: „Das Alles in zwei Schubladen???“.

7.00 h. Stille an Bord. Es schneit. Abfahrt verschoben. Alle Boote liegen unter einer dicken Schneedecke. In Tromsø nicht ungewöhnlich im April. Beim Auslaufen um 09.00 h sichten wir das erste „Polarlicht“.

Am Kai liegt die „Polarlys“, Flaggschiff der an der norwegischen Küste omnipräsenten traditionellen Postschiff-Flotte, den Hurtigruten. Wunsch der Woche: Einmal echte Polarlichter sehen. Wir hoffen auf gutes Wetter und sternenklare Nächte.

Hurtigruten-Schiff im Hafen von Tromsø

Bei leichtem Schneefall nimmt unsere Ketsch Kurs Richtung Norden. Der erste Ankerplatz liegt im Langsundet, einer schmalen Passage zwischen den Inseln Reinoya und Ringvassoya. Bei beißender Kälte und kräftigem Wind hält sich die Vorfreude auf die geplante erste Skitour in Grenzen. Die am Vortag mit großer Besorgnis aus der Heimat übermittelte Nachricht von vier Lawinenopfern bei großen Schneeabgängen in der Region drückt auf die Stimmung. Nur gut, dass Manuel aufkommenden Sorgen den Wind aus den Segeln nimmt. Er beschreibt den geplanten Aufstieg zum Reinskartinden als eher leichte Skitour in wenig steilem Gelände. Also los.

Während Dave und Tai bei fehlender Grundsicht im dunklen Wasser des Sunds routiniert das Ankermanöver durchführen, bereiten sich die Tourengänger bereits auf den Landgang vor. Turbulent geht es im Deckhaus zu. Die neunköpfige Seilschaft packt die Rucksäcke für den Tagesausflug, zieht warme Bergkleidung und Skitourenschuhe an. Nicht nur ein LVS (Lawinenverschütteten-Suchgerät) sondern auch eine Schwimmweste sind an zu legen. „Das Wichtigste aus zwei Welten.“

Es gilt nämlich, mit dem Dinghi zum Land über zu setzen. Ski und Stöcke werden aus den Staukästen an Deck entnommen und zur „Verschiffung“ vorbereitet. Schnee und Eis erschweren das Umsteigen ins Beiboot über eine Strickleiter. Die Gruppe arbeitet zielstrebig und umsichtig zusammen. Ein guter Anfang. Gekleidet in einen Trockenanzug setzt uns Bootsmann Tai in zwei Gruppen über.

Den braucht er angesichts der frostigen Temperaturen. Tai muss nämlich zum Anlanden ins Wasser und das Dinghi an Land ziehen. Stege gibt es weit und breit nicht. Wir sind mitten in der Natur.

Während wir an Land die Tourenski mit Fellen zum Aufstieg versehen, verschwindet der Nebel und der Himmel reißt auf.

Vor dem dunklen Blau des Polarhimmels erhebt sich in blitzendes Weiß gehüllt der

1.051 m hohe Soltindan auf Ringvassoya. Freude kommt auf.

Der Anstieg zum Tagesziel, dem 883 m hohen Reinskartinden, verläuft gemächlich entlang tief verschneiter Forststraßen und Waldwege. Kein Grund zur Sorge.

Im frischen Tiefschnee legt unser Bergführer eine sanft ansteigende Spur durch den für diese Breiten typischen niedrigen Birkenwald.

Trolle im Birkenwald ?

Die Gruppe funktioniert. Die jungen Tourengeher halten locker Manuels Tempo. Sie genießen den zügigen Aufstieg. Ich muss abreißen lassen. Nicht schlimm.

Kurze Verschnaufpausen geben Zeit zum Fotografieren. Und das lohnt. Auf halber Strecke zum Gipfel reicht bei strahlender Sonne der Blick hinunter aufs Meer und unsere einsam vor Anker liegende Segelyacht.

Als ich mich wieder dem Berg zuwende, eilen einige Trolle durch den lichten Wald. Zumindest glaube ich das, bis ich die durch die Birken huschenden Schatten als meine Weggefährten erkenne. Die nordischen Fabelwesen haben mich in der Stille der Natur auf die falsche Fährte gelockt. Schnell nehme ich die richtige wieder auf.

Es gilt, Anschluss zu halten, denn neue Wolken nahen. Bevor wir den Gipfel erreichen, zieht es zu. Für die Nachhut sind die durch den Wind schnell verwehten Spuren nur noch mit Mühe zu erkennen.

Wir sind im „White Out“. Die Orientierung ist aufgrund der diffusen Reflexion des Sonnenlichts und des geringen Kontrastes kaum möglich. Boden und Himmel gehen nahtlos ineinander über.

Gipfelglück und mögliches Unheil liegen hier oben nahe beieinander. Es ist Zeit umzukehren.

Die Abfahrt im bis zur Hüfte reichenden Tiefschnee belohnt für die Strapazen des Aufstiegs. Wieder an Bord genießen wir im holzgetäfelten Salon den von Dave und Tai vorbereiteten „afternoon tea“ und die herrlichen Kekse. Die beiden lichten unterdessen bereits den Anker, um uns für die Nacht in eine sichere Ankerbucht zu verholen.

Der Wind steht günstig, als wir am nördlichen Ende des Sunds nach Osten abfallen.

„Ski and Sail“ lautet das Motto der Woche. Also macht sich Bootsmann Tai klar zum Hissen des Groß- und Vorsegels. Es beginnt zu schneien, als er die innen mit einem warmen Vlies besetzten Latexhandschuhe überstreift. Tai ist hartgesotten. Im Sommer widmet er sich in den Fjorden Südnorwegens seiner Leidenschaft, dem Base-Jumping im Wingsuit. Respekt.

Segeln jenseits des Polarkreises hat mit einem Mittelmeertörn so viel gemein wie ein Spaziergang an der Außenalster mit dem Hamburg-Marathon. Es braucht Zeit, bis das Groß im zweiten Reff gesetzt ist. Und auch die Rollgenua wird heute dem Wind nicht mehr als die Hälfte ihrer Fläche zum Angriff bieten. Im Schnee knieend holt Tai mit Hilfe der mächtigen Winsch das stark reduzierte Tuch dicht.

Die volle Segelfläche von 165 qm werden wir während der ganzen Woche nicht einmal setzen können. Segel und laufendes Gut sind gefroren. Segeln in der Arktis. Dem Fotografen wird dabei warm ums Seglerherz. Aber kalt an den Fingern.

Neuschnee
Im April
Fotosafari

An Deck ist es menschenleer. Die junge Crew scharrt sich im Deckshaus um Dave am Steuerstand. Er berichtet spannend von früheren Törns in noch nördlicheren Gefilden. Moderne Bordelektronik ermöglicht ihm auch bei zunehmendem Schneefall sichere Navigation hoch am Wind.

Hisst das Vorsegel – Tai in Aktion

Zum Dinner wärmt der Dieselofen mit seinem langen Ofenrohr den Salon. Bei Spaghetti mit Fleischklößchen und Tomatensoße stellen sich Behaglichkeit und Wohlsein ein. Die Erlebnisse des ersten gemeinsamen Tages an Bord und am Berg haben das Team zusammengeschweißt.

Tai und Dave haben ein herrliches Frühstücksbuffet gestaltet. Das Angebot ist von einer „Viele Sterne Unterkunft“ nicht zu übertreffen. Saft und Obst, Brot und Wurst, Eier und Käse, Yoghurt und Müsli und einiges mehr bieten am Sonntagmorgen alles, was das Herz des arktischen Abenteurers begehrt.

Beste Voraussetzungen für einen unvergesslichen Tag im hohen Norden Norwegens. Beim Übersetzen mit dem Dinghi ahnen wir nicht, was für ein eindrucksvoller Skitag uns bevorsteht. Aber eins nach dem anderen.

Die Sonne scheint, als sich das Skiteam bereits ein wenig routinierter als am Vortag zur Anlandung aufmacht. Tagesziel: Trolltinden. Wir sind endgültig im Land der Trolle angekommen.

Manuels Ansage „850 Höhenmeter zum Gipfel“ lösen letzte Zweifel am greifbar nahen Erfolg des Tages auf. Das ist zu schaffen. Sonnenschein. Nur wenig Wind. Kein Problem also.

Die Gruppe erreicht mühelos nach etwa 3 Stunden den Gipfel. Während des Aufstiegs waren immer wieder kleine Pausen notwendig. Zu schön sind die Ausblicke auf die Nachbarinseln und deren Berge mit ihren bizarren Felsformationen. Sie bilden mit dem azurblauen Meer und dem mit wenigen Wolken gespickten blauen Himmel die perfekte Kulisse für beinahe kitschige Erinnerungsfotos.

Ein besonderes Motiv zeigt sich kurz unter dem Gipfel. Das Haus der Trolle. Zumindest sieht die kleine schneeverwehte Hütte aus, als beherberge sie diese Fabelwesen der nordischen Mythologie. Eine Gruppe italienischer Tourengeher ist uns auf den Fersen. Wir verzichten auf eine eingehende Überprüfung der naheliegenden These.

Wir wollen die Tiefschneehänge als Erste befahren. Das gelingt. Und wie. „Sauber, Heinz!!“, entfährt es Niki auf der Abfahrt. Sehr gute Skifahrer. Alle. 800 Höhenmeter Tiefschneerausch liegen hinter uns, als wir kurz oberhalb der Küste zur Aufstiegsspur abschwingen. Polar Powder. Kein Zweifel. Einen solchen Pulverschnee findet man nicht alle Tage. Die endlose Weite der Westhänge und der atemberaubende Hintergrund von Meer und Inselwelt runden das für alle perfekte Skierlebnis ab.

Unvorstellbar! Noch einmal! Die junge Truppe entscheidet sich für einen erneuten Gipfelsturm. Restadrenalin und Endorphine verhindern meinen Einspruch. Nach weiteren gut zwei Stunden steht die Truppe erneut am Start zur unvergesslichen Tiefschneeabfahrt. „Das isch jetzt mal e hammer Abfahrt gsi! Winen Rusch!“, bricht es am Ende aus Patrick heraus. Ja. Es ist wie im Traum.

Arctic
Powder
in den
Lyngenalpen

Traumhaft auch bei der Rückkehr nach Akkarvik der Blick über die schneeumrahmte Bucht mit unserem ankernden Segelschiff. Zurück an Bord bleibt Zeit, auf dem Vorschiff noch ein wenig die herrliche Sonne zu genießen. Energie tanken nach 1.600 Höhenmetern Aufstieg und Tiefschneeabfahrt.

Für die nächsten Tage ist eine Wetterverschlechterung angekündigt. Bei Flaute motoren wir mit 215 PS bei 8 Knoten Fahrt hinüber zur Insel Uloya. Im Kielwasser noch lange der Blick auf unseren unvergesslichen Traumberg des Tages.

Viktoria, Qualitätsmanagerin aus Graz, und Patrick, Jurist aus Zürich, übernehmen dick vermummt abwechselnd das Steuer.

Dave berichtet an Deck bereitwillig Interessantes zur Geschichte der DUEN III.

1987 nach den Plänen von Robert Perry, einem renommierten amerikanischen Bootdesigner, gebaut umrundete die Ketsch unter ihrem Vorbesitzer zweimal die Welt. Seit einigen Jahren wird sie nun in arktischen Gewässern verchartert.

Die Saison in den Lyngenalpen geht von Februar bis Anfang Mai. Danach verlegt der Eigner die Yacht regelmäßig bis zum Ende des Sommers etwa 1.000 Kilometer nördlich ins Polarmeer rund um Spitzbergen.

Das Schiff ist mit einem holzgefeuerten „Hot Tub“ auf dem Achterdeck ausgestattet. Wegen der herannahenden Front setzt unser Skipper kurzentschlossen die Nutzung desselben am Folgetag auf die Agenda.

Hand aufs Herz, liebe Segelfreunde. Wer von Euch hat nicht schon einmal den tags zuvor gefassten Plan, die Umgebung der angesteuerten Ankerbucht zu erkunden, verworfen und sich dem Müßiggang hingegeben, wenn morgens das Wetter nicht mitspielte?

Nicht so bei „Ski and Sail“! Grau, wolkig und windig präsentiert sich das Wetter, als Manuel um 08.00 h zum frühen Aufbruch mahnt. Überkommende Wellen erschweren den Transfer ans Land. Tai steuert souverän. Zum Glück hält das Wetter bei unserer Skitour zum Uloyatinden noch halbwegs. Schlechte Sicht und kalte Finger schmälern den Genuss auf der 1.100 Höhenmeter währenden Abfahrt.

Sie steigern die Vorfreude auf das heiße Bad auf dem Achterdeck. Wegen des inzwischen starken Seegangs am Ankerplatz verlegen Dave und Tai Duen III nach Uloyabukta.

Um 16.00 h ist es dann so weit. Das Bad ist gerichtet – ein weiterer Höhepunkt der Reise erreicht! Geschlagene drei Stunden genießt die Jugend vor der schneebedeckten Kulisse der umliegenden Inseln den Wechsel zwischen der Hitze des Hot Tub und der Abkühlung im 5° kalten Wasser der Bucht. Arktis zum Anfassen. Mütze nicht vergessen!

Regeneration im Hot tube

Das gilt auch für die kommenden Tage. Starke Winde und wiederholter Schneefall erschweren nicht nur die Navigation. Sie lassen auch die Skitouren zu echten Herausforderungen werden.

Gut, dass Manuel sich mit einem befreundeten Kollegen verabredet hat. Ivo führt eine weitere Gruppe Skitourengänger unseres Veranstalters. Untergebracht im Hotel Koppangen Brygger beneiden sie uns um unsere schwimmende Unterkunft. Rasch freunden wir uns an und meistern die schwierigen Aufstiege gemeinsam.

Bei Wind und Schneefall ist die Jugend im Vorteil. Trotz seiner beachtlichen Physis entscheidet sich Hartmut -78 Jahre alt und mit erstaunlichem Humor gesegnet- kurz vor dem Ziel, auf die Gipfelbegehung des Storhaugen zu verzichten. Als hätte er es geahnt, ist der vorausgehende Bergführer umgekehrt, um ihn auf der Abfahrt zu begleiten. Einem Troll gleich taucht Ivo plötzlich aus dem Nichts auf. In der mystischen Atmosphäre von Nebel und Wolken ist die nordische Sagenwelt allgegenwärtig.

Die Tourenwoche in dieser arktischen Umgebung unterscheidet sich grundlegend vom Skitouren in den Alpen. Und das Leben auf dem Boot wohltuend von dem auf einer Berghütte.

Kein mehrkehliges Schnarchen hallt durch einen großen Schlafsaal. Vor dem Einschlafen fest verankerte Ohropax müssen nicht verzweifelt doch erfolglos ihren Ruf als „Erfinder der Ruhe“ gegen die heftigen Geräusche aus den oberen Atem- und unteren Darmwegen der Bergkameraden verteidigen. Der Wecker setzt nicht bereits um 4.00 h dem Halbschlaf ein jähes Ende. Kein Kaltes Wasser im Gruppenbad.

Alle sind sich einig. Hier auf dem Boot ist alles viel gemütlicher – weil gemächlicher. In unserer „schwimmenden Berghütte“ gibt es im April bei den im hohen Norden bereits langen Tagen keinen Grund zur Eile. Die Gruppe ist klein. Und die Zweier-Kabinen gewähren auf engem Raum ausreichend Intimität und Raum für Persönliches.

Unsere segelnde Unterkunft ist uns ans Herz gewachsen. Sie dient nicht nur als bequeme Ruhestätte sondern stellt auch den Transfer unmittelbar zum Ausgangspunkt unserer täglichen Exkursionen sicher. „Das Beste aus zwei Welten!“

Das Schiff ist allerdings nicht nur Gefährt und schwimmendes Hotel. Es ist zugleich auch Partymeile und Sportplatz.

Auf dem Vorschiff wird gefeiert. Max hat Geburtstag. Warm angezogen und behütet bzw. mit Mütze ausgestattet stoßen wir auf den nun 30-jährigen Anästhesisten an. Seine Frau Melina, ebenfalls Ärztin, und er lieben Norwegen. Im Sommer zieht es die beiden mit Wohnmobil und Kayak in den Norden. Dort geht Max seiner großen Leidenschaft, dem Angeln, nach. Nach dem Umtrunk gibt er auf dem Vorschiff eine Kostprobe seines Könnens. Es gelingt ihm binnen weniger Minuten, aus dem kalten Wasser des Nordmeers die frischen Zutaten für ein köstliches Abendmahl an Bord zu ziehen.

Petri Heil

Chapeau!

Magdalena, Physiotherapeutin aus Graz, nutzt das ruhige Wetter und die Stille der Bucht zu einem kurzen Ausflug ins Rigg. Sie genießt den Ausblick auf das Treiben an Deck von dort oben.

Es ist sehr friedlich hier vor Anker. Die Abgeschiedenheit, das Fehlen von Verkehr und die ungewohnte Ruhe abseits der Zivilisation haben bei allen zur Entschleunigung und Erholung beigetragen.

1265 Höhenmeter zeigt die Uhr an, als wir am nächsten Tag den Blick vom Ullstinden auf die umliegenden Inseln und Buchten schweifen lassen. Mit einem schönen Applaus hatte die vorausgeeilte junge Truppe ihren Senior am letzten Gipfel der Tour empfangen.

Auf dem Weg zurück Richtung Tromsø ist es kalt an Deck. Der Wind pfeift. Duen III stampft durch die aufgepeitschte See. Gedanken an die bekannten Segler Heide und Erich Wilts beschäftigen den Autor. Wie haben sie auf ihren Langfahrten durch die Weltmeere in den hohen Breiten so oft noch wesentlich widrigeren Bedingungen auf einem deutlich kleineren Schiff trotzen können? Und sehr viel Freude dabei empfunden, wie es Heide Wilts in ihren Büchern so spannend schildert?

Wahrscheinlich muss man die Kälte und Nässe, den Wind und die Wellen einfach lieben. Es lieben zu lernen, ist der Törn um die Lyngenalpen bestens geeignet.

Mit „dem Besten aus zwei Welten“.

Reibungslos verläuft die Rückkehr in den Hafen. Ein letztes routiniertes Anlegemanöver bringt uns längs an den Steg. Ski in die Säcke, Klamotten verpacken und nach der schmackhaften Carbonara an Bord Klarmachen zum Landgang. Bald entern wir angeführt vom Captain die Bastards Bar. Bei Livemusik und Bier vom Fass ist die Stimmung im gut gefüllten Pub skandinavisch locker.

Später verholen wir uns in die Lobby des Verdensteatret. Der angesagte Szenetreff in Norwegens ältestem Filmtheater zieht neben Touristen auch die einheimische Jugend an.

Das Highlight der Nacht wird am Ende nicht der Besuch in „Heidi’s Bier Bar“, dem selbsternannten Eldorado des Après-Ski in Tromsø, sein. Es ist vielmehr das Phänomen am Himmel. Auf dem Heimweg zum Schiff geht ein sehnlicher Wunsch in Erfüllung. Am frühen Morgen erhellen Polarlichter den Himmel über dem Hafen. In der klaren Nacht leuchtet das Firmament in unwirklichem Türkis.

Aurea Borrealis
über dem Hafen
von Tromsø

Wir sind uns einig. Dieses Erlebnis macht diese wunderbare Reise unvergesslich.

Patrick und Melina schmunzeln glücklich, als sie den vier Österreicher*innen nachschauen, die sich am Morgen danach vom Steg trollen.

Nützliche Informationen

Lyngenalpen

Die bis zu 1834 m hohen Berge erstrecken sich bei einer Breite von 15-20 km über 90 km in Nord-Süd-Richtung auf der Lyngenhalbinsel. Das Gebiet zwischen Ullsfjord und Lyngenfjord ist touristisch nur wenig erschlossen. Bei Wanderern gilt es im Sommer ebenso wie die umliegenden nur spärlich besiedelten Inseln als lohnendes Ziel. In den wenigen Häfen stehen nur sehr limitiert Plätze für Gäste zur Verfügung. Die zahlreichen Ankerbuchten des Archipels bieten bei meist gutem Ankergrund Schutz gegen den im Jahresverlauf in Stärke und Richtung stark schwankenden Wind. Das Klima ist arktisch kühl mit Höchsttemperaturen von max. 15° im Juli / August und hohen Schneefallmengen im eisigen Winter. Bei Skitourengehern gilt die Region wegen ihrer Abgeschiedenheit und bis weit ins Frühjahr reichenden Schneesicherheit als Geheimtipp.

Info: https://www.visit-lyngenfjord.com

Anreise

Von allen deutschen Flughäfen bestehen Verbindungen über Oslo mit einer Flugzeit von etwa 2 Stunden für die Strecke Oslo-Tromsø. Direktflüge bieten Edelweiss ab Zürich von Mai bis September und von November bis Ende März sowie Eurowings ab Hamburg ein- bis dreimal wöchentlich.

Vom Flughafen Tromsø ist der Stadthafen mit dem Taxi in 15 Minuten und mit dem Stadtbus binnen 30 Minuten zu erreichen.

Info:    https://www.flyedelweiss.com

https://www.eurowings.com

Tromsø

Vom Nordkapp nur 600 km entfernt gilt das „Paris des Nordens“ als Tor zur Arktis. Berühmte Polarforscher wie Amundsen und Nansen brachen von hier zu ihren verwegenen Expeditionen auf. Heute kommen Touristen aus aller Welt, um im Winter die Polarlichter und im Sommer das 24 h Licht der Mittsommernacht zu bestaunen. Vom Hausberg Storsteinen bieten sich wunderbare Ausblicke auf die verzweigte Welt der umliegenden Fjorde und Sunde. Rund um den belebten Hafen lädt die Altstadt mit Boutiquen und gemütlichen Cafés und Kneipen ein. Das Polarmuseum erinnert an die große Zeit der Entdecker.

Info:    https://www.visittromso.no

Duen III

Der 1987 gebaute Zweimaster mit Heimathafen Tromsø bietet Gruppen bis 10 Personen Platz. Während des Törns werden täglich -wenn möglich unter Segeln- neue Ankerplätze angesteuert. Die Crew stellt die Versorgung der Gäste in Vollpension sicher und gewährleistet den Transfer an Land zu den Skitouren. Saison ist von Ende Februar bis Anfang Mai.

Info:    https://duenexperience.com/en/

Veranstalter

Im deutschsprachigen Raum bieten einige Bergführer / Bergschulen meist einwöchige Segelreisen rund um die Lyngenalpen für Tourengeher an. Möglich ist die Buchung sowohl für private Gruppen als auch als Kojencharter.

Spezialisten für die Lyngenalpen sind:

in Deutschland:        Alpine Welten           https://www.alpinewelten.com

in der Schweiz:         Alpventura                https://www.alpventura.ch

in Österreich:            Held Adventure        https://www.paulheld.at

Dr. med. Heinz Günter Klausmann

Veröffentlicht 2023 in der YACHT 23-2023

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