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Maritime Medizin 2021

Der Weg zur Arbeit an Bord

Ein „Basic Safety“-Training ist unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit an Bord eines kommerziellen Schiffs. Das gilt auch für den Schiffsarzt. Auf der Ostsee trainierten erneut Ärzte den Alltag als Seefahrer. Praxisnah. Ohne sich zu schonen.  Ein kalter Herbstwind weht vor Warnemünde. Gischt fliegt gegen den Bug der Atalanta. Lutz Sünkeler, Kapitän des 120 Jahre alten Schoners, gibt dem Steuermann klare Anweisungen: „20° backbord“, „Gut so“, „Kurs halten“. Es ist ein weiter Weg durch die aufgewühlte Ostsee von Rostock zurück in den Heimathafen Wismar. Von dort ist die zehnköpfige Crew des Traditionsseglers vor einer Woche aufgebrochen. Fünf Ärzte bilden sich in „Maritimer Medizin“ fort. Vier Seeleute und der Kursleiter bereiten sie auf die Tätigkeit als Schiffsarzt vor.

Traditionsschiff
Atalanta im Hafen
und unterwegs

Ein Arbeitsplatz auf hoher See unterscheidet sich sehr von denjenigen in einer Klinik oder Praxis an Land. Voraussetzungen sind zu erfüllen: Ärzte müssen wie alle Seefahrer „Seediensttauglichkeit“ nachweisen. Ausreichendes Seh- und Hörvermögen sowie gute körperliche Fitness sind Bedingung. Wer unter regelmäßiger medikamentöser Behandlung steht, sollte nicht körperlich oder geistig eingeschränkt sein. Dies schreibt die Maritime-Medizin-Verordnung (MarMedV) vor. Alle zwei Jahre ist die Seediensttauglichkeit zu überprüfen und dokumentieren. Angehende Schiffsärzte müssen In Deutschland eine Facharztanerkennung für Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Anästhesiologie oder Chirurgie sowie ihre Approbation nachweisen. Sie benötigen zudem den Fachkundenachweis „Rettungsmedizin“ oder alternativ die Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“. In die Weiterbildungsordnung der Länderärztekammern aufgenommen ist die „Maritime Medizin“ noch nicht. Eine Zusatzbezeichnung „Maritime Medizin“ ist nicht zu erwarten. Beim seeärztlichen Dienst der BG Transport und Verkehr können sich Ärzt*innen registrieren und als Schiffsmediziner tätig werden. Voraussetzungen sind -neben mindestens vierwöchiger praktischer Erfahrung auf einem Seeschiff- umfassende Kenntnisse der medizinischen Anforderungen im Schiffsdienst. Das Seearbeitsgesetz gibt vor, dass der Schiffsarzt auf einem Kauffahrteischiff unter deutscher Flagge tätig wird und einen Heuervertrag erhält. Dies muss vor der Registrierung erfüllt sein. Vor Dienstantritt ist ein „Basic Safety“ – Training zu absolvieren. Dies gilt für alle Crewmitglieder. Also auch für Ärzte. Einwöchige Kurse werden in Hamburg, Bremen, Lübeck und Rostock angeboten. Schmunzelnd geht der Veranstalter, Professor Dr. med. Olaf Schedler, Ruder. Im Interview hatte er dem Autor sein Ausbildungskonzept erläutert. Er möchte nicht nur spezifische medizinische Kenntnisse für die Tätigkeit an Bord vermitteln. Die Ärzte sollen auch Einblicke in die Anforderungen des Zusammenlebens und Arbeitens auf einem Schiff erlangen. Das ist ihm gelungen. Stürmische Winde und hohe See machen dem 36 m langen Holzschiff nicht viel aus, setzen der verbliebenen Crew allerdings gerade recht zu. Bereits vor dem Auslaufen in Rostock haben zwei Crewmitglieder die Segel gestrichen. Zu sehr hatten ähnliche Bedingungen den beiden auf dem Hinweg zugesetzt. Weder die Gabe von Cinnarizin als Monotherapie noch in Kombination mit Dimenhydrinat hatten ihnen geholfen, Übelkeit und Schwindel zu überwinden. Die enge Koje unter Deck war für sie zum erlösenden Zufluchtsort geworden. Während Atalanta vor der herbstlichen Kulisse des Seebades Heiligendamm gegen den stürmischen Wind durch die aufgewühlte See gen Westen stampft, hängt die Crew Erinnerungen an die Tage an Bord nach. Von Wismar aus hatte der Zweimaster Kurs auf den Hafen Neustadt in Schleswig-Holstein genommen.

Unter Segeln
Auf Kurs
Ausschau

Auf dem Weg dorthin standen die Grundlagen des Notfallmanagements an Bord eines Schiffes auf dem Lehrplan. Bereits mit von der Partie Dirk Wegner, Ausbilder im AFZ (Aus- und Fortbildungszentrum) Rostock, und erfahrener Kreuzfahrtschiffer, der die Inhalte des „Basic Safety“ – Kurses praxisnah zu vermitteln wusste. In der Messe wurde allen rasch bewusst, was es heißt, bei Seegang und Gegenwind längere Zeit unter Deck konzentriert zu arbeiten. Die Gefühlslage schwankte individuell zwischen „mulmig“ bis „ziemlich übel“. Besserung stellte sich an Deck durch die Mitarbeit beim Anlegen im Hafen schnell ein. Eine wichtige Erfahrung. Den nautischen Höhepunkt der Ausbildung stellte der Törn von Neustadt nach Rostock am Folgetag dar. Bei raumen Winden aus West legte das schwere Holzschiff die etwa 50 sm in weniger als 8 h zurück. Bei der Einfahrt in den Hafen wiesen die Rettungsboote auf der Pier und eine Gruppe Übender im Hafenbecken auf die anstehenden Themen hin. Der Unterricht im AFZ führte die Ärzte z.B. in die sachgerechte Bedienung und Verwendung von Rettungsmitteln, den Ablauf von Evakuierungen im Seenotfall sowie den Gebrauch von Rettungsbooten und -inseln ein. Nach der Theorie stand das praktische Üben im Mittelpunkt.

Crowd Management
im AFZ Rostock
Rettungsbootübung

Kein Arzt drückte sich vor dem Sprung mit dem Überlebensanzug ins kalte Wasser noch vor dem freien Fall im „Life-Boat“ aus schwindliger Höhe. Eindrücklich das Training des Crowd-Managements. In einer Notfallsituation hat jedes Crewmitglied einen Beitrag zur Verhinderung einer Panik an Bord zu leisten. Gemeinsam mit anderen Seefahrern wurde hier ein Krisenszenario trainiert. Belastend die Auseinandersetzung mit Feuerschutz und Brandbekämpfung. Jeder Teilnehmende legte selbst Hand an und übte sich im Löschen und in der Brandabwehr.

Brandschutzübung
Notfallevakuierung
Pyrotechnik im Einsatz

Reichlich Gesprächsstoff gab es beim abendlichen gemütlichen Miteinander in der Messe. Bei von Kapitän Lutz persönlich zubereiteten Speisen drehten sich die Gespräche immer wieder auch um die Interpretation der Rolle des Schiffsarztes an Bord. Seefahrtromantiker tendieren dazu, nach dem „Hand gegen Koje“ – Prinzip zur See zu fahren. Andere Kollegen streben eher nach einer wirtschaftlich interessanten Tätigkeit an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. So ist das Berufsbild des Schiffsarztes gewiss nicht eindeutig – aber jedenfalls die Tätigkeit auf See reizvoll und spannend.

Dr. med. Heinz Günter Klausmann

Veröffentlicht: Deutsches Ärzteblatt | Jg. 119 | Heft 4 | 28. Januar 2022

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