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Maritime Medizin 2023

Praxis mit Meerblick

Die Bundesärztekammer hat am 19.10.2023 das „Curriculum Maritime Medizin“ veröffentlicht. Dieses sieht in der Fortbildung zum Schiffsarzt ein mindestens zweiwöchiges Praktikum an Bord eines Seeschiffs vor. Vorgeschrieben ist die aktive Teilnahme „unter Supervision des Kapitäns/der Kapitänin an Diensten, Arbeiten und Manövern auf dem Schiff“.

Stolz liegt die SEA CLOUD am Quai im Hafen von Las Palmas auf Gran Canaria. Ein imposantes Segelschiff. Um 16.00 h startet das Einschiffen. Dr. Vahlbruck erwartet mich an der Reling. Er ist Schiffsarzt auf dem Viermaster während der anstehenden Reise durch die westlichen Kanaren. Er und seine Frau Bettina, seit 2010 leitende Schiffsärztin bei „SEA CLOUD Cruises“, heißen mich an Bord willkommen. In den nächsten Tagen werde ich ihm bei der Arbeit an Bord „über die Schulter schauen“ Durch sie werde ich auch die administrativen Aspekte der „Maritimen Medizin“ kennenlernen. Eine gute Vorbereitung, um später selbst als Schiffsarzt tätig zu werden.

Grosssegler
Mit Tradition
Sea Cloud

Nach Bezug der geräumigen Kabine im hinteren Originalbereich des Traditionsschiffs geht es auch schon gleich an die Arbeit. Gemeinsam arbeiten wir die „Doctor’s familarisation“ durch. Das Übergabeformular listet alle Kenntnisse und Aufgaben auf, mit denen sich der Arzt bei Dienstantritt vertraut machen bzw. die er abarbeiten muss. Diese Checkliste erleichtert die Integration in den Routinebetrieb der nautischen Besatzung. Abstimmung mit dem Kapitän und seinen Offizieren sowie gegenseitiger Respekt bilden das Fundament einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Im „Doctor’s handover“ Protokoll wird die -mitunter virtuelle- Übergabe zwischen dem zum Dienst antretenden Bordarzt und seinem Vorgänger dokumentiert.

Die Formulare an Bord entsprechen denen eines aus der Praxis bekannten Qualitätsmanagements. Sie erleichtern die Einarbeitung und gewährleisten bei häufig wechselnden Ärzten an Bord die Einhaltung einheitlicher Abläufe sowie die Wahrung von Qualitätsstandards.

Praxis
mit Meerblick
inklusiv

Sieben kurze und ein langer Ton erschallen aus den Lautsprechern auf und unter Deck. Die akustische Ankündigung eines Notfalls auf See. Crew und Gäste eilen mit ihren Schwimmwesten zum Sammelpunkt auf dem oberen Achterdeck. Zum Glück handelt es sich nur um die obligat zu Beginn jeder Kreuzfahrt abzuhaltende Notfallübung. Captain John Svendsen nutzt die Gelegenheit zur persönlichen Begrüßung der Gäste. Er weist sie zudem auf richtiges Verhalten an Bord hin. Er und sein Team haben das Thema „Unfallprävention“ im Fokus.

Es gilt, beim Begehen der zum Teil steilen Treppen immer „eine Hand am Schiff zu haben“, d.h. sich stets festzuhalten, und bei höherem Seegang die Treppen rückwärts hinabzusteigen. First Officer Alexandrovermittelt, wie ein sicheres Umsteigen vom Schiff auf die Beiboote bei den anstehenden Landausflügen erreicht wird. Man hält den Helfer nicht an der Hand, sondern umschließt mit der Hand seinen Unterarm und umgekehrt. Das wird zur Sicherheit auch gleich praktisch geübt. Bei den Landausflügen mit den Tendern und der Fotosafari um SEA CLOUD im offenen Zodiac wird sich der „Drill“ durch fehlende Zwischenfälle auszahlen.

19.00 h. Cocktailempfang auf dem Lido Deck. Das luxuriöse Ambiente des 1931 in Kiel gebauten 110 m langen Stahlschiffs nimmt die Gäste gefangen. Vorfreude auf herrliche Segeltage im Passatwind. Urlaubsstimmung. Klaviermusik erklingt beim Sektempfang zum Auslaufen am späteren Abend.

Das Bordhospital öffnet morgens um 08.30 h zur Sprechstunde die Pforten. Schnell sind wir Kollegen beim Du. Arnold hat den „Bauchladen“, wie er seine „Praxis mit Meerblick“ liebevoll nennt, zur Sprechstunde vorbereitet. Aus dem winzigen Behandlungszimmer reicht der Blick über das Promenadendeck geradewegs auf die Schaumkronen des bewegten Atlantiks. Die hohen Wellen erklären die Symptome der ersten Patienten. Seekrankheit ist – wie häufig am ersten Tag auf See – eine gängige Diagnose. Zielsicher findet der Doc Dimenhydrinat im Medikamentenschrank.

Dieser enthält alle sorgfältig nach dem „Malta Protokoll“ gelisteten Medikamente. Die systematische Sortierung nach Indikation erleichtert die Orientierung auch für den Novizen an Bord. Kollege Vahlbruch freut sich, einen traumatologisch erfahrenen Kollegen an Bord zu wissen. Unfälle bedingen nach seinen Erfahrungen einen wesentlichen Teil der Behandlungen an Bord. Nicht nur bei der Crew sondern -insbesondere bei rauen Bedingungen auf See – auch bei den Gästen. Zur Versorgung von Verletzungen ist das Nötigste im Bordhospital vorhanden. OP-Lampe, Wundversorgungssets, Schienen und Orthesen.

Sprechstunde
unter Segeln
Teamwork

Nach der Sprechstunde gilt es, ein neues EKG-Gerät in Betrieb zu nehmen. Selbst ist der Mann. Und breit ist das Spektrum. Grundlage für die ärztliche Tätigkeit auf einem Schiff wie der SEA CLOUD ist die Bereitschaft, selbst anzupacken und die „Dinge in die Hand zu nehmen“. Eine Portion Improvisationstalent und eine breite klinische Ausbildung sind auf dem Schiff von Vorteil. So ist zum Beispiel die Inzidenz dermatologischer Erkrankungen wegen der klimatischen Bedingungen und der Arbeitsplatzsituation an Bord häufiger als in der Hausarztpraxis an Land.

Nach dem Gang durch die Funktionsbereiche wie Küche, Waschküche, Maschinenraum und Mannschaftskabinen zur Überprüfung der Notfall-Verbandskästen treffen wir auf der Brücke den „Second“ Mykola Toporov aus der Ukraine. Der zweite Offizier ist Ansprechpartner des Schiffsarztes in logistischen Fragen. Jetzt hält er am Steuer Kurs, während der Captain das Setzen der Segel kommandiert. Behende klettern die Matrosen in den Rahen. Rasch begeistern prall gefüllte Segel die Gäste auf dem Promenadendeck und in der „blauen Lagune“, dem komfortablen Ruhebereich im Heck des Großseglers.

Matrosen
im Rigg
Captain John

Während der Bereitschaft kann auch der Bordarzt die Annehmlichkeiten des luxuriösen Schiffs genießen und mit Blick auf die Kanaren im Liegestuhl der SEA CLOUD den nächsten Aufgaben harren. Diese sind bei maximal 58 Gästen und 60 Crewmitgliedern eher rar. Ein beginnendes Erysipel nach Prellschürfung am Unterschenkel, ein Metallsplitter am Daumen, eine Ellenbogenprellung und Schulterschmerzen nach leichtem Trauma sind die wesentlichen Probleme in diesen Tagen.

Da gerät die Begleitung des Landausfluges in El Hiero zur willkommenen Abwechslung. Keine besonderen Vorkommnisse auf der Tour mit dem E-Bike entlang der steilen Küste. Die Ausflügler schätzen die Anwesenheit des Arztes. Glückliche Nicht-Patienten. Eine neue Erfahrung.

Auf See
Landausflug
auf der Brücke

Diese stellt auch das Captains Dinner zum Abschluss der Seereise dar. Beim festlichen Abendessen im ehrwürdigen holzgetäfelten Speiseraum der „Old Lady“ gibt der charmante Gastgeber Captain John Svendsen interessante Einblicke in seine umfassende Erfahrung auf See. Er schildert auch seine Erwartungen an das medizinische Bordpersonal. Ganz wichtig, dass es physisch und mental „seefest“ ist.

Ja. Das könnte passen. Als Schiffsarzt an Bord der SEA CLOUD . Beim Abschied auf der Gangway fällt mir ein anderer Arnold ein: „I‘ ll be back!“

Dr. med. Heinz Günter Klausmann

Veröffentlicht: Deutsches Ärzteblatt | Jg. 120 | Heft 50 | 15. Dezember 2023

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